Trauer um Inge Deutschkron

Durch ihre Biographie „Ich trug den gelben Stern“ wurde Inge Deutschkron 1978 einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland bekannt. Zu dieser Zeit waren zwar durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem und die Auschwitz-Prozesse während der 60er Jahre in Deutschland bereits die Schrecken der Judenverfolgung und der Vernichtungslager in das öffentliche Bewusstsein gedrungen, jedoch blieb die konkrete Alltagserfahrung der Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus erstaunlich abstrakt. Die amerikanische Fernsehserie „Holocaust“, die das Schicksal einer fiktiven jüdischen Familie im Deutschland des Nationalsozialismus thematisierte, traf daher einen Nerv beim deutschen Publikum. Doch Inge Deutschkron mit ihrer persönlichen, realen Lebensgeschichte im Berlin der 30er und 40er Jahre brachte es noch authentischer auf den Punkt – als eine Frau, die den gelben Stern selbst tragen musste.

Zu dieser Zeit lebte Inge Deutschkron in Tel Aviv, wohin sie Anfang der 70er Jahre gezogen war, weil ihr die antiisraelische Haltung in Deutschland, gerade auch in Kreisen der Studentenbewegung, und der latent stets vorhandene Antisemitismus unerträglich geworden waren. Erst 1988, als das GRIPS-Theater unter dem Titel „Ab heute heißt Du Sara“ ihre Geschichte auf die Bühne brachte, kehrte sie zunächst besuchsweise nach Berlin zurück, knüpfte in den folgenden Jahren neue Kontakte, schloss Freundschaften in Berlin und hatte hier schließlich wieder eine Zweitwohnung.

Unermüdlich referierte sie fortan vor Schulklassen, um das in der NS-Zeit Geschehene für die nachfolgende Generation wach zu halten und es nie wieder geschehen zu lassen. Sie schilderte den Jugendlichen ihre eigene Jugendzeit während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, wie sie in den 40er Jahren mit ihrer Mutter in wechselnden Verstecken in Berlin die Nazi-Zeit und den Krieg überlebt hatte. Sie hob stets die wichtige Unterstützung durch Berlinerinnen und Berliner hervor, die sich ihre Menschlichkeit nicht durch ideologische Fanatisierung nehmen ließen.

Einer von ihnen war der fast blinde Kleinunternehmer Otto Weidt, der in Berlin-Mitte eine Blindenwerkstatt betrieb, wo er Jüdinnen und Juden Unterschlupf bot.  Es ist Inge Deutschkron zu verdanken, dass in den Räumen der einstigen Blindenwerkstatt Otto Weidts Ende der 90er Jahre eine ständige Ausstellung mit dem Titel „Blindes Vertrauen“ eingerichtet wurde. Dieses Projekt wurde bei einer Feier im April 2000 im benachbarten Kino Central mit unserem Preis, dem „Roten Tuch“, ausgezeichnet – Inge Deutschkron war bei der Verleihung zugegen.

Seit ihrer Rückkehr aus Tel Aviv 2001 lebte Inge Deutschkron wieder dauerhaft in Berlin. Gemeinsam mit Margot Friedländer wurde sie 2018 zur Ehrenbürgerin Berlins ernannt.

Inge Deutschkron ist am 9. März 2022 im Alter von 99 Jahren verstorben – sie wird fehlen!