Der Verein „Das Rote Tuch e.V.“ im Haus der Wannseekonferenz
Nach fast zwei Jahren konnte der Verein „Das Rote Tuch e.V.“ Ende Oktober erstmalig seit dem Beginn der Corona-Pandemie wieder zu einem Gedenkstättenbesuch einladen. Bereits im Januar 2020 hatte das Haus der Wannseekonferenz seine neugestaltete Dauerausstellung eröffnet, die aber schon wenige Wochen später im ersten „Corona-Lockdown“ wieder schließen musste, so dass auch unser für den April 2020 geplanter Besuch nicht möglich war.
Jetzt, anderthalb Jahre später, konnte der Besuch endlich nachgeholt werden. Da jedoch die Pandemie leider noch nicht vorbei ist, durfte im Haus keine Führung stattfinden, sondern wir erhielten einen Einführungsvortrag im Freien und gingen anschließend einzeln – und natürlich mit FFP2-Maske – durch die Ausstellung. Glücklicherweise fand der Besuch an einem sonnigen Herbsttag statt, und der fundierte Vortrag des Referenten Niels Pohl zog die Zuhörerinnen und Zuhörer schnell in seinen Bann, so dass die Stunde im Freien vor dem Gebäude nicht lang wurde.
Entsprechend der Gliederung der Ausstellung erläuterte der Referent zunächst die Vorgeschichte jener „Konferenz“ vom 20. Januar 1942, auf der 15 hochrangige NS-Funktionäre und Ministerialbeamte den organisierten Mord an den europäischen Juden ressortübergreifend planten. Anhand der auf Schautafeln dargestellten Biografien und Funktionen der von Reinhard Heydrich sorgfältig ausgewählten Teilnehmer – es waren (bis auf die Stenotypistin) ausschließlich Männer, die an der Konferenz teilnahmen – verdeutlichte Niels Pohl, wie technokratisch und ohne jeden erkennbaren Skrupel vorgegangen wurde. Für die Beteiligten standen offenkundig persönliche Karriereerwägungen im Vordergrund – bis hin zu Heydrich selbst, der den Ehrgeiz hatte, sich als oberster Organisator der „Endlösung“ zu profilieren und sich von Hermann Göring eigens hierzu ermächtigen ließ.
Der Ablauf der „Konferenz“, die eher den Charakter einer Besprechung hatte und nur anderthalb Stunden dauerte, ist durch ein zufällig erhalten gebliebenes Exemplar des von Adolf Eichmann erstellten Protokolls überliefert, das in der Ausstellung gezeigt wird. Zwar wird auch in diesem Protokoll der Massenmord nur mit bürokratischen Begriffen umschrieben, aber Niels Pohl verweist auf Aussagen Eichmanns beim späteren Prozess gegen ihn in Jerusalem, aus denen zu schließen ist, dass auf der Konferenz eigentlich Klartext gesprochen, der nur im Protokoll verklausuliert wiedergegeben wurde.
Die Ausstellung in der 1914/15 erbauten Fabrikantenvilla mit Wannseeblick konfrontiert die Besucherinnen und Besucher in deutlichem Kontrast zu dem noblen Ambiente, in dem Täter konferierten, mit den Folgen ihrer Beschlüsse. Orte der Massaker sind ebenso dokumentiert wie auch Einzelschicksale der Verfolgten.
Es wird auch ein aufschlussreicher Blick auf den Umgang mit dem Gebäude nach dem Krieg geworfen. Die Kenntnis dessen, was in diesem Haus beschlossen wurde, war lange Zeit kein Thema, drang erst in den 80er Jahren allmählich ins öffentliche Bewusstsein, und 1992 wurde schließlich die Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannseekonferenz“ eröffnet. Der Besuch dort sollte zum Pflichtprogramm aller Schulen gehören!