Die Cecilien-Schule: Werkstatt für Offenheit, Toleranz und Demokratie

Der Jugendmedienpreis „Das Rote Tuch“ wird zum 30. Mal verliehen

Foto: Simon Becker

Auf einigen Stolpersteinen, die am Nikolsburger Platz an ermordete jüdische Berlinerinnen und Berliner erinnern, liegen langstielige weiße Rosen in der Märzsonne. Es sind die Stolpersteine, um die sich die Cecilien-Schule kümmert. Eine schöne Idee, mit den geschmückten Stolpersteinen einzustimmen auf den festlichen Anlass, der gleich in der Schulaula stattfinden wird.

In der Schule summt und brummt es wie in einem Bienenkorb. Unzählige Schülerinnen und Schüler schwirren aufgeregt hin und her, suchen ihre Lehrerinnen und Lehrer, ihre Eltern und Geschwister, die in großer Zahl in die Schule gekommen sind, um dabei zu sein, wenn „ihre“ Cecilien-Schule ausgezeichnet wird mit dem Roten Tuch, dem antifaschistischen Jugendmedienpreis.

Als sich der Lärm in der vollen Aula endlich legt, tritt Christian Gaebler, der Kreisvorsitzende der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf, ans Rednerpult. Es war vor genau 40 Jahren, als Mitglieder der Charlottenburger SPD die Idee eines solchen Preises in die Tat umsetzten in der Hoffnung, dass die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Gräueln junge Menschen widerstandsfähig und abwehrbereit machen würde gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz.

Christian Gaebler macht mit seinen Worten deutlich, dass der Kampf gegen solche gesellschaftlichen Phänomene noch lange nicht gewonnen sei, im Gegenteil: Er weist auf das rauer gewordene Klima im Lande hin. Und er bedankt sich bei den Schülerinnen und Schülern für ihr Engagement; dafür, dass die Cecilien-Schule für ein tolerantes Zusammenleben von SchülerInnen aus zahlreichen Nationen steht – ganz in der Tradition von Charlottenburg und Wilmersdorf, wo es vor der Shoa ein friedliches Miteinander jüdischer und nichtjüdischer Berliner Bürgerinnen und Bürger gab.

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann begrüßt seinerseits das große Publikum. Auch er begleitet seit vielen Jahren die Verleihung des Roten Tuches. Doch auch mit der Cecilien-Schule verbindet ihn eine gemeinsame Vergangenheit: Als Stadtrat, der unter anderem für Bildung zuständig war, leitete er den nicht ganz einfachen Prozess, aus der Hanns-Fechner- und der Cecilien-Schule ein Ganzes werden zu lassen, nämlich die erste Ganztagsschule in Wilmersdorf. Und es freut ihn festzustellen, dass nicht viele Schulen so „engagiert unterwegs sind“ wie die Cecilien-Schule, um gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anzukämpfen. Bezogen auf die Vergangenheit betont er, wie wichtig es sei, die Opfer des Nationalsozialismus dem Vergessen zu entreißen – da ginge es um Schicksale, nicht nur um Zahlen.

In der Zwischenzeit ist vor der Bühne Bewegung entstanden – Stühle werden gerückt, Kinder packen Instrumente aus und legen Noten auf die Ständer. Die „Cecilien-Streicher“ bereiten ihren Auftritt vor. Zuerst spielen die jugendlichen Geigerinnen und Geiger eine „Entrada“, „Einmarsch des Königs“, wie der musikalische Leiter erklärt.

Nun ergreift Franziska Becker das Wort, Sprecherin der Jury des Jugendmedienpreises „Das Rote Tuch“, und entschuldigt zuallererst  den Regierenden Bürgermeister, der in letzter Minute am Kommen verhindert worden sei und weist zugleich darauf hin, dass das Rote Tuch auch von der SPD des Landes Berlin unterstützt werde.

Christian Gaebler und Reinhard Naumann haben schon deutlich gemacht, weshalb gerade die Cecilien-Schule das Rote Tuch verdient. Franziska Becker erläutert noch einmal ausführlicher, weshalb die Jury  zum ersten Mal eine Schule für preiswürdig erachtet habe. Die langjährige, vorbildliche Gedenkarbeit und das demokratische Engagement der Cecilien-Schule würden in die Öffentlichkeit hinein wirken, weit über Wilmersdorf hinaus. Sie würdigt die Schule als Absenderin einer klaren Botschaft: „Ja zu Menschlichkeit, Offenheit und Toleranz“.

Diese Gedanken greift auch Schulsenatorin Sandra Scheeres auf und dankt Schulleiterin Sarstedt, dass sie das von ihrer Vorgängerin übernommene Erbe sorgsam hüte und das weltoffenen, tolerante Profil der Schule weiterhin pflege. Sie würdigt außerdem die gute Arbeit in den Willkommensklassen und betont, wie wichtig diese für Flüchtlingskinder seien.

Der nächste Beitrag schließt den Kreis zu den Stolpersteinen auf dem Nikolsburger Platz. Karl-Heinz Otto gibt Einblick in das Stolpersteine-Projekt der Cecilien-Schule. Von den 111 Stolpersteinen, die in der näheren Umgebung der Schule verlegt sind, haben die Schülerinnen und Schüler für elf die Patenschaft übernommen. Mit verschiedenen Aktionen haben sie Spenden gesammelt, um das Geld für die Verlegung zusammenzubekommen. Und dieses Projekt hat ein weiteres hervorgebracht: Denn bei den Nachforschungen zu den ermordeten jüdischen MitbürgerInnen, für die die Stolpersteine stehen, stieß die Lehrerin Brigitta Behr auf das Schicksal von Susi und ihrer Familie. Das Schicksal dieses Mädchens berührte sie so sehr, dass sie daraus ein Buch und später einen Film macht: „Susi, die Enkelin aus dem Haus Nummer 4“.

Aus dieser Geschichte spielen nun Schülerinnen und Schüler einzelne Szenen, die vom Nazi-Terror in Deutschland berichten: ein Auftritt von Hitler, die Durchsetzung von Verboten gegen die jüdische Bevölkerung, eine Momentaufnahme aus der Reichspogromnacht, in der die SchülerInnen „Steine“ aus Stoff ins Publikum werfen. Die jungen SchauspielerInnen spielen mit einer solchen Intensität, dass die Ergriffenheit des Publikums spürbar im Raum steht.

Erleichtert darüber, dass diese Szenen heute Geschichte sind, wendet sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden dem wichtigsten Akt des Tages zu, der Verleihung des Preises. Christian Gaebler überreicht Schulleiterin Doris Sarstedt die Preis-Skulptur, ein in Plexiglas gegossenes Rotes Tuch, zusammen mit dem Check über 2.500 Euro.

In ihrer Dankesrede erzählt Doris Sarstedt, wie sie sich gefreut habe, als sie erfuhr, dass ihre Schule mit dem Roten Tuch ausgezeichnet werden solle. Nach den so positiven Beurteilungen habe sie sich gefragt, ob die Cecilien-Schule denn wirklich eine besondere Schule sei. Ja, habe sie sich sagen müssen, die Cecilien-Schule ist eine besondere Schule. Sie glaube, dass die Schülerinnen und Schüler hier mit dem wirklichen Leben konfrontiert würden. Sie berichtet von den vielen Aktivitäten, Festen und Projekten, an denen alle zusammen mitwirken würden: kreative Lehrerinnen und Lehrer, begeisterungsfähige Schülerinnen und Schüler, und nicht zuletzt viele engagierte, weltoffene Eltern. In ihrer Rede wird das Geheimnis dieser erfolgreichen Schule offenbar: Beim Zusammenwirken von so viel positiven Kräften haben Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus einen schweren Stand.

Mit einem Klavierstück, grandios gespielt von einer ehemaligen Schülerin, werden die Gäste zu dem Empfang entlassen, den der Förderverein der Cecilien-Schule im Foyer vorbereitet hat.